
Beybun Seker - Sozialarbeiterin & Mutmacherin
Veröffentlicht am: 01. Dezember 2019
Veröffentlicht in: Projekt
„Zum Glück habe ich nochmal die Kurve gekratzt“, sagt Beybun über ihre Vergangenheit. Sie habe damals ganz viel Mut in sich getragen und sei in die Extreme abgerutscht. Heute weiß sie, dass eine radikale Überzeugung nur selten zum Erfolg führt: „Wenn jeder Mensch bei sich und seinem Verhalten anfängt, können wir viel bewegen.“
Beybun leistet rassismuskritische Bildungsarbeit: „Ich bezeichne mich selbst als Woman of Color und setzte mich in Oldenburg vor allem für Kinder ein, die dasselbe erlebt haben wie ich.“ Mit den weltweiten Protesten infolge des Mordes an dem Schwarzen US- Amerikaner George Floyd hat Beybun gemeinsam mit weiteren tollen Menschen in Oldenburg das Bündnis UNITED AGAINST RACISM initiiert. „Wir möchten, dass das System als Problem erkannt wird und nicht diskriminierte Menschen und Gruppen selbst“, sagt sie.
Seitdem macht das Bündnis immer wieder mit Aktions- und Gedenktagen auf diskriminierende Handlungspraktiken aufmerksam. Als Aktivistin möchte Beybun sich jedoch nicht bezeichnen: „Mensch muss kein*e Aktivist*in sein, um etwas aktiv zu bekämpfen.“ Der Begriff schrecke nicht nur andere sondern auch einen selbst ab, überhaupt etwas zu tun: „Mensch hat immer die Extreme im Sinn, dabei ist die Grundhaltung im Diskurs viel wichtiger.“ Jede*r könne etwas bewirken: „Es kommt auf die Kontinuität an, Probleme im Kleinen immer wieder zu adressie- ren. Auch der Alltag und das Private sind politisch.“
Beybun hat angefangen zu studieren: „Pädagogisches Handeln in der Migrationsgesellschaft“ an der Universität Oldenburg. Lange habe es ihr an Selbstvertrauen gefehlt, diesen Weg für sich einzuschlagen, unter anderem weil Lehrer*innen nicht an sie geglaubt haben. 2018 kam sie für ein Praktikum beim Jugendmigrationsdienst ins kreativ:LABOR. „Ich habe hier nicht nur Unterstützung sondern auch die nötige Booster-Wertschätzung erfahren, um aus meiner eigenen Kraft zu schöpfen.“ Insbesondere im Bildungssystem hat Beybun immer wieder erleben müssen, in Kategorien gepresst zu werden.
„Meine Eltern sind aus Nordkurdistan nach Deutschland migriert, sodass ich einfach nicht dieselben Startbedingungen wie andere Kinder in der Schule hatte.“ Beybun ist im Kennedyviertel in Oldenburg aufgewachsen und betreut dort eine Mädchengruppe. Die Arbeit macht ihr Spaß. „Ich möchte die Kids empowern und stärken für alle, vor allem die strukturellen, Hürden, die auf sie zukommen werden.“ Sie möchte mit gutem Beispiel voran gehen und eine Inspiration sein. „Ich hoffe, dass sie eines Tages einen besseren Weg einschlagen oder wie der Phoenix aus der Asche ihre Flügel ausbreiten und selbst etwas bewegen.“
Wie geht es weiter? „Ich bin professioneller geworden und habe gelernt, Ungleichheiten im System zu erkennen, Problematiken zu verstehen und diesen entgegenzuwirken .“ Auch wenn sie Strukturen nicht sofort und alleine ändern kann, möchte Beybun Menschen, die benachteiligt werden, helfen Selbstvertrauen zu erlangen. Mit Abschluss des Studiums möchte sie als Sozialarbeiterin in der JVA tätig werden. „Gefängnisse sind blinde Flecken in unserer Gesellschaft. Da müssen tiefe Falten im System geglättet werden“, fügt sie hinzu. Darüber hinaus wird sie als Ausstiegshelferin im Bereich Rechtsextremismus aus- gebildet: „Ich möchte Nazis aus der Szene heraus helfen und als Multiplikatorin Aufklärung leisten, um gewährleisten zu können, dass die Demokratie nicht gefährdet wird.“
Beybun glaubt daran, dass imaginierte Differenzen überwunden werden können. Das Filmprojekt „Wer ist Oldenburg?“ blieb ihr in besonderer Erinnerung, weil sie durch die zahlreichen Interviews erfahren habe, dass es trotz vermeintlicher kultureller Unter- schiede immer auch Gemeinsamkeiten gibt: „Mama meckert – egal ob kurdisch oder deutsch gelesen – wenn du deine TUPPER-Dose in der Schule vergessen hast.“